Ein systemisches Verständnis von „Problemen“

Das systemische Denken betrachtet „Probleme“ nicht als isolierte Gegebenheiten oder Eigenschaften eines Systems (z. B. eines Teams, einer Organisation oder einer Familie), sondern als soziale Konstrukte, die durch Kommunikation entstehen und aufrechterhalten werden. Dies bedeutet, dass ein Problem nicht „ist“, sondern „geschaffen wird“ – durch die Art und Weise, wie Menschen darüber sprechen, darauf reagieren und es interpretieren.

Problemdeterminierte Systeme

Der Begriff „problemdeterminiertes System“, geprägt von Goolishian und Kollegen (1991), verdeutlicht diese Perspektive: Nicht ein System „hat“ ein Problem, sondern ein Problem „erschafft“ ein System. Die Kommunikation über ein Problem formt ein eigenes soziales System, das durch diese Gespräche aufrechterhalten wird. So sind letztlich alle Beteiligten, selbst jene, die sich nicht direkt involviert fühlen, Teil dieses Systems.

Tom Andersen beschreibt dies prägnant: „Ein Problem zieht Menschen an, die unweigerlich eine Meinung haben – darüber, wie das Problem verstanden und gelöst werden könnte. Das eigentliche Problem entsteht jedoch erst, wenn diese Meinungen so unterschiedlich werden, dass die Beteiligten nicht mehr miteinander sprechen können. In diesem Fall gerät das System in einen Zustand der Stagnation.“ (Andersen, 1998, S. 26)

Probleme als Konstellationen statt „Dysfunktionen“

In der systemischen Betrachtung werden Probleme nicht als Ausdruck einer Dysfunktion oder Pathologie gesehen. Stattdessen entstehen sie aus der spezifischen Verkettung von Umständen und der Art der Beziehungen zwischen den Beteiligten. Dies lässt sich am Beispiel eines Dreiecks verdeutlichen: Ein Dreieck existiert nicht „an sich“, sondern wird durch die Anordnung von drei Punkten zueinander gebildet. Wenn sich die Punkte in eine Linie bringen, verschwindet das Dreieck. Ähnlich existiert ein Problem nur innerhalb der spezifischen Konstellationen, die durch Kommunikation und Beziehungen gebildet werden.

Was „ist“ ein Problem?

Ein Problem wird durch folgende Merkmale definiert:

  1. Ein unerwünschter Zustand wird von einer oder mehreren Personen als störend oder veränderungsbedürftig wahrgenommen.
  2. Ein Beobachter oder eine Gruppe von Beobachtern beschreibt diesen Zustand als Problem.
  3. Ein Zustand, der als veränderbar gilt: Anders als bei „Schicksal“ oder „Tragödien“ wird angenommen, dass eine Lösung möglich ist. Wer das Problem hat, hat auch die Lösung.

Durch diese Kombination entsteht das, was schließlich als Problem wahrgenommen wird. Entscheidend ist hierbei, dass die Art und Weise, wie ein Problem beschrieben wird, Einfluss auf die Möglichkeiten seiner Lösung hat.

Wie werden Probleme erzeugt?

Probleme entstehen in mehreren Phasen:

  1. Problementdeckung: Eine Person bemerkt ein Verhalten oder einen Zustand und definiert ihn als „nicht in Ordnung“.
  2. Problemdeterminiertes Kommunikationssystem: Die Kommunikation über das Problem wird zum Hauptfokus der Beteiligten, und andere Themen rücken in den Hintergrund.
  3. Problemerklärung: Es wird eine Erklärung gefunden, die oft keine Lösung bietet, sondern das Problem stabilisiert. Beispiele sind:
    • Rückführungen auf die Vergangenheit („Das ist Schicksal“).
    • Individualisierte Schuldzuweisungen („Ein unfähiger Kollege“).
    • Übertragung der Verantwortung auf externe Akteure („Die da oben“).
  4. Problemstabilisierendes Handeln: Alle Beteiligten agieren so, als gäbe es keine Lösung, oder sehen die Verantwortung ausschließlich bei anderen.

Probleme lösen: Die Kraft der Sprache und Perspektiven

In der systemischen Beratung geht es darum, die Perspektiven der Beteiligten zu erweitern, Unterschiede in Problemdefinitionen und Lösungsideen herauszuarbeiten und somit neue Handlungsspielräume zu schaffen. Der Fokus liegt darauf, Unterschiede in den Beschreibungen, Prognosen und Lösungsvorschlägen sichtbar zu machen.

Die zentrale Prämisse lautet: „Wer das Problem hat, hat auch die Lösung.“ Diese Sichtweise stärkt die Eigenverantwortung der Beteiligten und eröffnet ihnen die Möglichkeit, aktiv am Lösungsprozess mitzuwirken. Die Aufgabe der Berater besteht darin, durch gezielte Fragen und Interventionen diesen Perspektivwechsel zu fördern und die Dynamik des problemdeterminierten Systems in eine lösungsorientierte Richtung zu lenken.